Umgang mit Druck in unserer Leistungsgesellschaft

Umgang mit Druck in unserer Leistungsgesellschaft

Zwei rosa Cs auf gelbem Hintergrund

Vom ersten Moment an war klar, dass wir mit Consent Calling etwas Großes erreichen wollen. Wir hatten eine Vision. Und mit jedem Treffen ist diese gewachsen. Gleichzeitig ist auch alles andere gewachsen:
Das Kollektiv selbst, unsere Ideen, unsere einzelnen Projekte, die Schritte, die wir gegangen sind, die Zahl der Vernetzungsanfragen von außen, der Kreis an Menschen, die uns unterstützen wollen und damit die Anforderung all dies zu koordinieren. Je mehr unser Projekt in die Öffentlichkeit rückte, desto größer war außerdem die Resonanz von außen – mit ihrem positiven Feedback sowie ihrer forschenden Kritik und den daraus entstehenden Diskussionen. Genauso gewachsen ist daher auch der Arbeitsaufwand, den wir leisten: Gerade arbeiten wir alle durchschnittlich 12 Stunden die Woche ehrenamtlich für Consent Calling – neben Lohn- und Carearbeit, politischem Aktivismus und teilweise Studium. Und trotzdem haben wir konstant das Gefühl, nicht genug zu tun. Die Tagesordnungspunkte stauen sich, die Termine häufen sich und die anfallenden Aufgaben werden komplexer. Als Kollektiv, aber auch als Individuen sind wir dauernd damit konfrontiert, dass wir mehr umsetzen wollen, mehr leisten wollen und machen uns deshalb Druck.

Auf dieser Demo auch noch eine Rede zu halten wäre total wichtig!

Haben wir in unserem Gesellschaftsvertrag jedes Risiko bedacht?

Können wir diese feministische Gruppe nicht auch treffen, um uns auszutauschen?

Könnten wir bei diesem Workshop nicht noch theoretisch fundierter argumentieren?

Sprechen wir als Kollektiv genug über unsere Arbeitsstrukturen, persönliche Ressourcen, Entscheidungsprozesse und demokratische Grundprinzipien?

Wo sind wir nicht kritisch genug? Welchen Diskurs haben wir nicht auf dem Schirm?

Fragen wie diese haben unsere Arbeitsstruktur von Beginn an geprägt und sind in uns allen verhaftet (wenn auch unterschiedlich stark – noch ein Punkt, der viel Aushandlungsbedarf schafft). Die Motivation, einen Beitrag zu gesamtgesellschaftlicher Veränderung zu leisten macht es natürlich nicht einfacher, sich von Druck und eigenen Ansprüchen zu befreien. Denn mehr Aktivismus ist schließlich immer vorstellbar. Wieder und wieder konfrontieren wir uns außerdem damit, woher wir die Legitimation nehmen, dieses Projekt verwirklichen zu wollen. Wissen wir genug? Können wir genug? Reichen unsere Ressourcen, um diesen Arbeitsaufwand zu stemmen? Halten wir potentiellen Konkurrenzsituationen, sowie Druck und Kritik der Öffentlichkeit stand? Unsere Ansprüche und damit auch unsere Zweifel wachsen mit jedem Tag, den wir an Consent Calling arbeiten. Dabei geht es gleichzeitig ja genauso darum, sich im Kontext von neoliberalen Paradigmen nicht konstant als ungenügend und defizitär zu sehen. Auch diesem Output-Denken, diesen Optimierungs- und Effizienzlogiken des Kapitalismus wollen wir mit unserem Projekt entgegentreten – und merken häufig, wie wir daran scheitern.

Deshalb versuchen wir unsere aktivistische Arbeit nachhaltig zu fokussieren. Wir wollen die Reflexion aufrechterhalten darüber, welche Erwartungen wir an uns selbst und das Projekt stellen, welchen Einfluss das auf unser Arbeiten und auch auf unsere mentale Verfassung hat. Wir wollen gemeinsam lernen, auf unsere Bedürfnisse und Ressourcen zu achten und in einen offenen Austausch über Schwächen, Überforderung und Leistungsdruck treten. Wir wollen den Diskurs so führen, dass er Überforderung nicht als individuelles Scheitern markiert, sondern sie in einen Kontext von Ursprung, Bedingungen und persönlicher sowie gesamtgesellschaftlicher Einbettung stellt. Wir wollen uns dazu ermutigen, zu unserem Können und unseren Ideen zu stehen, da gerade weiblich sozialisierten Menschen beigebracht wird, Erfolge eher glücklichen Zufällen, statt dem eigenen Handeln zuzuschreiben. Genauso wollen wir uns als Kollektiv sowie als Individuen zugestehen, Fehler zu machen, etwas nicht zu wissen, Zweifel zuzulassen und uns den Vergleich mit anderen (Projekten) nicht auferlegen. Wir wollen eine feministische Bewegung aufbauen, die zärtlich mit uns allen und unseren Ressourcen umgeht, in der wir aufeinander achten und solidarisch und aufmerksam sind. Und uns vor allem nicht daran messen, was und wieviel wir leisten!

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