Positionierungsfragen

Positionierungsfragen

Unsere Crowdfunding Kampagne hat am 21.2.2022 begonnen, der Angriffskrieg in der Ukraine am 24.2.2022. Für viele Menschen erreicht dieser Krieg in Kombination mit den herrschenden Belastungen durch die Pandemie sowie die konstant beschissenen patriarchalen und kapitalistischen Macht- und Gewaltverhältnisse eine neue Dimension an Überforderung, Angst und Verzweiflung. Dieser Krieg erscheint für viele Menschen näher und bedrohlicher als andere Kriege und gerade deswegen sind viele Menschen gerade dabei, auf verschiedensten Wege Hilfe zu leisten; unter anderem durch Spenden.

Und genau das ist auch unser wichtigstes Ziel momentan; nämlich bis zum 17.4. so viel Geld wie möglich zu bekommen, um in München einen feministischen Sexshop eröffnen können.

Um unser Ziel von einer eigenen Ladenfläche überhaupt in Angriff nehmen zu können, brauchen wir auf jeden Fall nochmal um die 10.000 Euro! Es fühlt sich aber fast zynisch an in diesen Zeiten um Geld zu bitten das an anderer Stelle dringender notwendig ist.

Andererseits ist das im Grunde in jedem Monat des Jahres so, denn auf der ganzen Welt herrschen Kriege, Ausbeutung, Verfolgung und Leid. Fest steht außerdem: Es gibt nie nur eine Krise, die wir bekämpfen müssen. Krisen hängen zusammen und bedingen sich. Krisen verstärken oft soziale Ungleichheiten und gerade auch in der Ukraine werden patriarchale Unterdrückungsverhältnisse gerade massiv sichtbar – und deswegen ist feministische Arbeit essentiell. So wie immer. Überall und auf allen Ebenen. 

Wir haben uns lange beraten wie wir uns in der aktuellen Situation am besten verhalten sollten und haben uns dagegen entschieden, eine social-media Pause einzulegen oder die Crowdfunding Kampagne zu unterbrechen.

Denn: Niemandem ist geholfen, wenn andere wichtige politische Arbeit eingestellt wird. Und unsere Arbeit ist wichtig. Außerdem hören wir von vielen Menschen, die persönlich betroffen sind von diesem Krieg, dass es überlebenswichtig ist, dass auch andere Inhalte und Themen sichtbar bleiben.

Wir finden als Kollektiv keinen Gradmesser, ab welcher dramatischen Situation der Welt wir unsere Arbeit unterbrechen sollten, wann eine social-media Pause eingelegt werden sollte, bei welcher Thematik wir inhaltliche Statements verfassen oder Spendenaufrufe teilen sollten. Außerdem finden wir es vermessen und problematisch nur eine Floskel wie „Solidarität mit der Ukraine“ zu droppen, um unser Gewissen zu beruhigen. Politisch ist daran nämlich noch lange nichts… 

Desweiteren sind wir in erster Linie ein feministisches Kollektiv, das heißt wir widmen uns dem Themenschwerpunkt Feminismus und wenn wir öffentlich als Kollektiv zu Themen Stellung beziehen, dann zu Themen, die in diesen Bereich fallen.

Denn würden wir uns diese Grenze nicht selbst setzen, wäre es unheimlich schwer zu differenzieren wozu wir uns nun positionieren und wozu nicht. Was ist mit dem Klimawandel und dem konstanten Nichts-Tun der Bundesregierung? Der Situation in Afghanistan oder Somalia? Mit der Forderung nach der umfassenden Aufklärung von Hanau? Was ist mit dem herrschenden Pflegenotstand? Und was mit den aktuellen Geschehnissen in Rojava? Mit der Situation an den EU Außengrenzen usw. usw.

Wer fähig ist zwischen den Zeilen zu lesen, wird erkennen, dass unsere feministische Haltung Teil eines größeren Kampfes für andere Verhältnisse ist. Eine politische Haltung ist für uns kein cooles Label mit dem es darum geht Likes zu generieren und sich als woke zu präsentieren. Wir alle sind politische Menschen, deren Politikverständnis selbstverständlich ein antikapitalistisches und antifaschistisches ist, in dem Krieg und Aufrüstung niemals Teil einer Lösung sein können und daher sollte auch klar sein, dass wir gegen diesen Krieg sind. 

Gegen diesen Krieg zu sein ist das Eine, eine politische, kluge Analyse der Situation zu leisten etwas Anderes und wir haben im Kollektiv nicht die Ressourcen das über diesen Kanal zu leisten. Daher bleiben wir als Schuster*innen bei unseren Leisten und versuchen gezielt und fokussiert unsere Expertisen einzusetzen.

Trotzdem gilt natürlich, und gerade in der jetzigen Situation: Spendet Geld an sinnvolle Initiativen, geht auf Demonstrationen, deren Message ihr vertreten könnt, organisiert euch politisch, bildet Banden und nutzt eure Privilegien. Schafft Synergien zwischen einzelnen Kämpfen, seid solidarisch und gebt die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht auf und das gilt an allen 365 Tagen im Jahr.  Daher ist es essentiell auch auf die eigene mentale Gesundheit zu achten und sich regelmäßig Pausen von diesem gesellschaftlichen Wahnsinn zu nehmen.  

DE